Reisebericht Ukraine 2018
Ukraine 2018 – Ein Land im Umbruch, eine Caritas im Aufbruch
"Wir haben uns eine Säge gekauft. Von Eurem Geld." - "Wieso braucht ihr eine Säge?" - "Zum Holz klein machen." - "Mit den Kindern?" - "Ohhh nein, wir machen Brennholz!"
Die Ortsgemeinde stellt der staatlichen Grundschule Holz zur Verfügung, nur klein machen müssen sie es selbst. Die Schulleiterin berichtet unzureichender Kohlezuteilung und zu teurem Gas. Nachdem in früheren Berichten von kalten Wintern und Unterricht im Mantel gesprochen wurde, ist das Holz nun die Lösung. Die Schule mit angegliedertem Kindergarten liegt in dem Dorf Sloboda und ist die erste Station unserer Reise in der Ukraine. Die Kinder warten schon und haben, wie jedes Jahr, mit Hilfe der Deutschlehrerin Marianna ein Kulturprogramm vorbereitet. Mit Stolz und Freude wird die deutsche Delegation dann über das Gelände geführt. Teppich, Staubsauger, Fenster, neue Toiletten und eben jene Säge sind Beispiele der Verbesserungen, die durch die Caritas-Spenden über die Jahre möglich wurden. Die Schule ist über eine Schotterstraße erreichbar. Diese wird, so ist an den Bauarbeiten erkennbar, in einem für Schotterpisten guten Zustand erhalten. "Die Straßen habe sich deutlich verbessert.", so die einhellige Aussage der der deutschen Besucher, die in den letzen Jahren schon mehrfach in der Ukraine waren. Ehemalige Schlaglochstraßen haben sich in gute ausgebaute Schnellstraßen verwandelt, auch wenn der Zustand nicht mit der europäischen Autobahn vergleichbar ist, die an der polnisch-ukrainischen Grenze endet. Dieser Wandel ist allerorts erkennbar. An vielen Stellen sind beispielsweise Bauern zu sehen, die ihre Felder mit Pferd und Flug bearbeiten. Nebenan steht der moderne Traktor am Straßenrand und manche gelbblühenden Rapsfelder erstrecken sich bis zum Horizont. Neben sozialistischen "Neubauten" schießen moderne Hochhäuser in die Höhe. Und viele Ukraine, die ihr Geld im Ausland verdienen, bauen Schritt für Schritt an ihrem Haus.
Auch an vielen Caritas-Standorten ist der Fortschritt zu erleben. Eine steigende Zahl an hauptamtlichen Mitarbeitern und psychosozialen Angeboten prägen die Berichte der Verantwortlichen vor Ort. Städte und Gemeinden fördern inzwischen Projekte.
Das Engagement der Caritas begann vor 19 Jahren in Rohatyn und Burschtyn. Mit den Spenden der deutschen Caritas sind die Essenräume und Toiletten der damals eingeweihten Armenküchen inzwischen saniert und die Küchen gut ausgestattet. Die Rohatyn kann Essen auf Rädern angeboten werden. Am Tag des Besuchs wurden 39 Essen ausgefahren. Berufsschüler aus benachteiligen Familien haben heute Borscht, Wurst und Haratschki bekommen, also Gemüsesuppe mit Buchweizengrieß. Papst Franziskus würde sich an der Arbeit für die Armen sicher freuen.
Die griechisch-katholischen Kirche ist Träger der Caritas-Angebot. Sie orientiert sich in ihrem Ritus vor allem an den orthodoxen Kirchen. Ungewöhnlich für eine katholische Kirche: Die Priester haben in der Regel eine Familie. Historisch entwickelt hat sich die Kirche während der österreichisch-ungarischen Monarchie entwickelt. Die Kirche erkennt den Papst an.
In Rohatyn steht die Armenküche unmittelbar neben der Kirche. In Burschtyn wurden Nebenräume im örtlichen Krankenhaus angemietet. Zusätzlich richtete die Caritas in diesem Ort in den Räumen der Kirche des Märtyrers St. Josaphat eine Tagesgruppe für Behinderte ein. Die zuständige Pädagogin leitet die Gruppe sichtbar mit Engagement und großer Empathie. Der Priester .... berichtet, die Arbeit werde ausschließlich durch die deutschen Spenden ermöglicht.
Auch in Kolomya hat sich die Zahl der Besucher in der Suppenküche erhöht. Daher wird am Sitz des Bischofs gerade ein zweiter Speiseraum eingerichtet. In der Stadt, so zeigt sich beim Besuch des Hauses der Caritas, gibt es inzwischen eine Vielzahl von Caritas-Projekten. So fördert die amerikanische Caritas ein Projekt für traumatisierte Kinder aus Soldatenfamilien. Es gibt ebenfalls eine Tagesbetreuung für Behinderte sowie Kinder- und Jugendarbeit. Der Caritas-Direktor Sergey Trifik berichtet, dass die Caritas - Ukraine inzwischen eigene Sozialarbeiter und Psychlogen ausbildet. In Ivano-Frankivsk, der örtlichen Metropole, kann an der Universität zudem Soziale Arbeit studiert werden.
Fast alle unsere Gesprächspartner kommen auf den Krieg in der Ostukraine zu sprechen. "Der große Bruder umarmt uns fest.", so der einhellige Tenor. Priester Dymitro Bigun aus Rohatyn berichtet von seinen Einsätzen als Militärseelsorger. In Kürze geht wird er dafür wieder für zwei Monate zur Marine gehen. Während in der Ostukraine täglich geschossen wird, leben die Menschen schon 30 Kilometer entfernt in Frieden. Zwar liegt der Bezirk Ivano-Frankivsk weit im Westen, dennoch ist das Kriegstrauma deutlich zu spüren, ebenso der starke ukrainische Patriotismus. In der Kathedrale St. Michael in Kolomya sind die Bilder der ersten 100 Toten des Maidan im Jahr 2014 zu sehen, die 'himmlischen Hundert', darunter auch ein Schüler des regionalen Gymnasiums.
Priester Michailo Roshko war einer der ersten Kontaktpersonen für die mecklenburgische Caritas. Er war engagiert und vor Ort sowie von den deutschen Gästen hochgeschätzt. Im letzten Jahr ist er gestorben. Seine Witwe Maria treffen wir am Grab, das sich nicht auf dem Friedhof, sondern direkt an der Kirche befindet. Nach einer kurzen Gedenkandacht sind wir bei ihr privat zum Essen eingeladen. Dies war eine von vielen Einladungen, stets mit überbordenden Tischen und mindestens einer Flasche Wodka, um gemeinsam anstoßen zu können. Zum Abschied gibt es dann einen letzten Umtrunk, „На коня - aufs Pferd“ , damit die Gäste gut nach Hause kommen.
Was bleibt an Eindrücken?
- Der Blick auf ein Land im Umbruch
- Sichtbare Ergebnisse eines langfristigen deutschen Engagements
- Professionelle und engagierte Kolleginnen und Kollegen
Im kommenden Jahr feiert die Caritas 20 Jahre Unterstützung in der Ukraine. Vielleicht ist das ein guter Zeitpunkt gemeinsam mit den Partnern vor Ort, neben dem Rückblick, nach vorne zu schauen. Wie kann die Hilfe weiterentwickelt werden? Welchen Beitrag können wir zur Professionalisierung zum Beispiel in der Behindertenhilfe leisten? Sollte es eine kirchlich reformpädagogische Antwort auf das bisher rein staatliche Bildungswesen geben?
Was auch immer kommt, die deutschen Spenden bringen sichtbare Verbesserungen vor allem für die Randgruppen in der ukrainischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft in der das Pferdefuhrwerk vom nagelneuen BMW überholt wird, die Inflation bei mehr als 10 % liegt und die Rentner vielfach auf Gutscheine angewiesen sind, um ihre Nebenkosten zu decken. Der Krieg im Osten belastet die staatlichen Finanzen. In dieser Situation wirkt die griechisch-katholische Kirche mit der Caritas für die Menschen, die es nötig haben.
Text: Nicolas Mantseris / Caritasschuldnerberater in Neubrandenburg